Sonstiges 3

Gerhard Stolz:

Warum das neue Fernbusangebot (MeinFernbus, DeinBus
u.a.) einem vernünftigen öffentlichen Verkehrsangebot im
Wege steht!

 

ÖV aus einem Guss

Nachdem bis Anfang der 90iger Jahre des vergangenen Jahrhundert nur die
allergrößten Ballungsräume Verkehrs- und Tarifverbünde hatten, wuchs die
Erkenntnis bei den Verantwortlichen, dass alle öffentlichen Verkehrsmittel
aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft werden sollten. Dabei entstanden
fast in ganz Deutschland flächendeckende Verbundgesellschaften. Nicht nur
einheitliche und durchgängige Tarife wurden angestrebt und größtenteils auch
verwirklicht, auch die Fahrpläne wurden aufeinander abgestimmt. Schlagwörter wie
mit einer Fahrkarte durch Stadt und Land oder öffentlicher Verkehr aus einem Guss
waren fast überall zu hören. So ist z.B. im ÖPNV-Gesetz des Landes Baden-
Württemberg von 1995 folgendes zu lesen:
Öffentlicher Personennahverkehr soll im gesamten Landesgebiet im Rahmen eines
integrierten Gesamtverkehrssystems als eine vollwertige Alternative zum
motorisierten Individualverkehr zur Verfügung stehen.

Interessant ist die Passage: „integriertes Gesamtverkehrssystem“, die keinen
anderen Schluss zulässt, als dass die öffentlichen Verkehrsmittel, auch
fahrplanmäßig, aufeinander abgestimmt werden müssen. Fahrpläne müssen so
gestaltet werden, dass nach Möglichkeit immer Anschluss zwischen den
Hauptträgern des öffentlichen Verkehrs, Schienenverkehr und Busverkehr,
hergestellt wird und natürlich auch untereinander. Für diese Angebote war der in der
Schweiz entwickelte integrale Taktverkehr Vorbild. Mindestens stündliche
Fahrmöglichkeiten mit direkten ebenfalls mindestens stündlichen Anschlüssen an
entsprechenden Knoten. Zum großen Teil verwirklicht wurde dies im
Schienenverkehr, Vielfach auch beim Busverkehr, aber leider nicht überall. Immerhin
sieht die jetzige Regierungsvereinbarung von Baden-Württemberg mindestens einen
Stundentakt auf allen Buslinien vor.

Nun spricht das ÖPNV-Gesetz nur für den Nah- und Regionalverkehr, der
Fernverkehr wird durch dieses Gesetz, auch in den anderen Bundesländern, nicht
berührt. Aber auch die Deutsche Bahn, früher Deutsche Bundesbahn, fährt seit mehr
als 20 Jahren im Fernverkehr mehr oder weniger im Stundentakt, auf welchem fast
überall in Deutschland der Nahverkehr abgestimmt ist. Trotzdem gibt es noch einiges
zu verbessern, nicht zuletzt macht sich die Initiative Deutschlandtakt für einen noch
viel flächendeckenderen Fernverkehrstakt stark.

Eigentlich müsste das in Deutschland ausreichen: flächendeckender Fernverkehr im
Takt, nennen wir ihn Deutschlandtakt, und darauf abgestimmt der regionale und
lokale Nahverkehr. Warum wir das noch nicht überall haben liegt daran, dass Bund,
Länder und Kreise nicht genügend Mittel für den öffentlichen Verkehr zur Verfügung
stellen, leider wird in jüngster Zeit wieder mehr für den Straßenverkehr ausgegeben.
Um nicht ungerecht zu sein, es gibt einige Länder die fördern ihren ÖV, das Gleiche
gilt auch für viele Kreise. Aber der Bund hat in den vergangenen Jahren den
Schwerpunkt seiner Investitionen im Verkehrswegebau wieder mehr auf die Straße
gelegt. Die vom Bund den Ländern für den Schienennahverkehr zur Verfügung
gestellten Regionalisierungsmittel wurden nicht genügend den Kostensteigerungen
angepasst, so dass immer wieder eher Leistungen gekürzt als ausgeweitet wurden.
Auch die Kreise, die für den Stadt- und Busverkehr zuständig sind, versuchen
inzwischen einzelne Leistungen zu kürzen oder gar manche Buslinien ganz
einzustellen. Jüngstes Beispiel ist die Streichung von Angeboten auf der
Schwarzwaldhochstraße. Man bedenke, das bereits dünne Angebot wurde noch
mehr gekürzt, obwohl gerade dieses Gebiet Nordschwarzwald zum Nationalpark
erklärt werden soll! Besser für dieses Ökoprojekt wären mehr Busangebote innerhalb
des zukünftigen Nationalparks, statt Busverkehre im Rheintal parallel zur
Rheintalbahn.

Besser weniger als mehr Systeme, zu viele Köche verderben den
Brei


Nun leben wir in einer Zeit, in der das Wort Innovation einen sehr hohen Stellenwert
besitzt. Fast täglich ist der Presse zu entnehmen welche „segensreiche“
Entwicklungen im E-Bereich zu verzeichnen sind. Dabei dreht sich alles um den
Individualverkehr. Öffentlicher Verkehr, der schon lange elektrisch verkehrt, ist da
außen vor. Elektrischer Schienenverkehr ist schon so zur Selbstverständlichkeit
geworden, dass niemand mehr darüber spricht. Dabei ist es nicht die
Fahrdrahtgebundenheit, nein, es ist halt einfach nichts Neues und deshalb
uninteressant. Verwunderlich ist dabei, dass es noch nicht einmal der elektrische OBus
schafft in die verbreitete Diskussion zu kommen. Dagegen ist das
batteriebetriebene Auto Gegenstand unendlich vieler Beiträge in den Medien. Da
steht die weit verbreitete Windschutzscheibenperspektive Pate. Aber zurück zu den
Systemen für den öffentlichen Verkehr. Ausgesprochen effektiv sind
Schienenfahrzeuge bei einem gewissen Aufkommen an Fahrgästen. Sehr bewährt
haben sich für schwächere Anschlussrelationen abgestimmte Busanschlüsse. Erst
für ganz schwach besiedelte Gebiete, wie Streusiedlungen oder einzelne Weiler
passen diese beiden Systeme nicht mehr. Jetzt kommt der Anrufbus oder das
Anruftaxi ins Spiel. In jüngster Zeit wird für diese letzten Strecken das Pedelec
angedacht. Mehr braucht das öffentliche Verkehrssystem nicht!

Innovation ja, aber passend: Park and Bike, Radverkehr, Park and
Ride, Kiss and Ride, Car to go, u.v.m.


Integrierte Verkehrssysteme und integrierte Verkehrsmittelnutzung sind derzeit bei
vielen Verkehrsveranstaltungen im Vordergrund der Diskussionen. Die Verknüpfung
öffentlicher Verkehrsmittel mit den Fahrzeugen des IV hat natürlich schon einen
gewissen Reiz. Dabei wird aber verkannt, dass das private Fahrzeug ja nicht jedem
zur Verfügung steht und nicht an allen Haltestellen des ÖV Leihfahrzeuge
vorgehalten werden können. Also ist der Zugang zu individueller Fahrzeugnutzung
begrenzt. Die Mitnahme von Fahrzeugen in den öffentlichen Verkehrsmitteln,
hauptsächlich Fahrräder, stößt schon aus Kapazitätsgründen an seine Grenzen und
nicht jeder will und kann immer auf ein Fahrrad zurückgreifen. Im Übrigen fühlen sich
zunehmend Fahrgäste durch die Fahrradmitnahme belästigt! Bei der neuesten
Variante, dem Park and Bike, also eine Verknüpfung von MIV und Fahrradverkehr, ist
der ÖV ganz außen vor. Diese ganzen Maßnahmen binden unnötig viele Gelder und
Kapazitäten, die eher dafür verwendet werden sollten, um den eigentlichen ÖV
flächendeckend anbieten zu können.

Je mehr Individualität, desto weniger Zuverlässigkeit

Die jetzt eingeführten Fernbuslinien versprechen dem einzelnen Fahrgast mehr
individuelle Betreuung während seiner Fahrt als mit dem herkömmlichen
Schienenverkehr. Und mit Sicherheit wird es auf nachfragestarken Relationen und zu
nachfragestraken Zeiten gute Angebote geben. Auch preislich wird der
Fernbusverkehr besser als die Bahn abschneiden. Die Gründe liegen auf der Hand:
während für jeden Zugkilometer Trassengebühren und an den Haltestellen
Stationsgebühren anfallen, fährt der Bus auf allen Straßen umsonst. Es gibt auch für
den Bus kein EBA, das mit scharfen Sicherheitsauflagen die Kosten beim
Schienenverkehr in die Höhe treibt und den Betrieb erschwert.
Trotzdem wird der Bus kein flächendeckendes Angebot bieten und auch in
Schwachlastzeiten wird man in vergeblich suchen. Was sein wird, sind
Rosinenpickereien, die dazu führen werden, dass wegen Einnahmeverlusten im
parallelen Schienenverkehr dessen Angebot auf schwach frequentierten Strecken
und zu Schwachlastzeiten schlechter werden wird. Gerade dort und dann wird aber
kein privater Bus zur Verfügung stehen. Das ÖV-System wird sich noch weiter von
einem flächendeckenden zeitlich ausgedehntem Angebot entfernen.

Zusammenfassung:

Regelmäßige Angebote, Verlässlichkeit, und flächendeckende
integrale Taktverkehre
Der Fahrgastverband Pro Bahn hat schon immer angebotsorientierten
öffentlichen Verkehr gefordert, der den Schienenverkehr und den ergänzenden
Busverkehr in hervorragender Weise miteinander verknüpft, so dass in
Deutschland ein flächendeckendes ÖV-System aus einem Guss vorgehalten
werden kann, auch zu abendlichen Schwachlastzeiten und am Wochenende.
Dabei ist selbstverständlich, dass Fahrpläne und Tarife aufeinander
abgestimmt werden.
Der Fernbus kannibalisiert dieses System und wird deshalb von Pro Bahn
abgelehnt.

 
     

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